Die sowjetische Blockade Berlins ab 1948 hatte zum ersten großen Konflikt zwischen den Siegermächten geführt. Die USA, Großbritannien und Frankreich beschlossen jedoch, West-Berlin nicht aufzugeben. Bis zum Sommer 1949 versorgten sie die Bevölkerung über die Berliner Luftbrücke mit dem Lebensnotwendigen. Nur ein Jahrzehnt später wurde Berlin abermals zum Schauplatz einer Krise im Kalten Krieg.
DAS SOWJETISCHE BERLIN-ULTIMATUM
Auslöser der neuerlichen Krise war ein Ultimatum des sowjetischen Staats- und Parteichefs Nikita S. Chruschtschow, das den Westmächten am 27. November 1958 übermittelt wurde. Einseitig kündigte es die internationale Ordnung auf, wie sie nach Ende des Zweiten Weltkrieges entstanden war.
Innerhalb von sechs Monaten sollten die Westmächte aus Berlin abziehen und ihre Sektoren in eine freie, entmilitarisierte Stadt umgewandelt werden. Chruschtschow drohte, mit der DDR einen Friedensvertrag abzuschließen und ihr die Kontrollrechte für Berlin einschließlich der Zugangswege zu übertragen. Weil sie den ostdeutschen Staat nicht anerkannten, hätten die Westmächte darin einen völkerrechtswidrigen Akt gesehen.
Seine tatsächlichen Ziele behielt Chruschtschow für sich. Er wollte nicht nur die DDR stärken, sondern vor allem die Glaubwürdigkeit der westlichen Führungsmacht USA erschüttern und so das Verteidigungsbündnis Nato spalten.
Die Reaktionen des Westens und die Zuspitzung der Krise
Die westlichen Hauptstädte waren sich in ihrer Reaktion auf das Ultimatum keineswegs einig. Doch in einem Punkt herrschte Klarheit: Die Truppen aus West-Berlin abzuziehen kam nicht in Frage. Die Westmächte hielten auch an ihrem Recht auf freien Zugang nach Berlin fest. Diese Haltung bekräftigte US-Präsident John F. Kennedy im Juli 1961 in seinen drei Grundsätzen, den „Three Essentials“. Damit war eine Pattsituation entstanden. Moskau und Washington drohten sich gegenseitig mit Krieg.
Bis zu dieser Eskalation war zwischen Ost und West immerhin verhandelt worden. Nach der ergebnislosen Genfer Außenministerkonferenz (1959) und dem Scheitern des Pariser Vier-Mächte-Gipfels (1960) erreichte die Berlin-Krise mit dem amerikanisch-sowjetischen Gipfeltreffen in Wien (1961) ihren Tiefpunkt.
Im Verhältnis zur DDR war der Wiener Gipfel für die Sowjetunion ein Wendepunkt: Die Staats- und Wirtschaftskrise der DDR hatte sich zwischenzeitlich derart verschärft, dass die DDR-Führung in Moskau immer stärker darauf drängte, Ost-Berlin abzuriegeln. Das letzte Schlupfloch in Richtung Westen sollte geschlossen werden. Angesichts dramatisch steigender Flüchtlingszahlen stimmte Chruschtschow im Juli 1961 dem Bau der Mauer in Berlin zu, die er ursprünglich abgelehnt hatte.
Unter Führung der Roten Armee wurde die Operation vorbereitet. Am 13. August 1961 begannen DDR-Organe damit, in Berlin Stacheldrahthindernisse zu errichten und von einem Tag auf den anderen die Lebensadern der Stadt zu zerschneiden. Die Westmächte wollten wegen Berlin keinen Krieg führen und reagierten zurückhaltend. Weil die Bevölkerung empört und enttäuscht war, setzten die USA rasch ein Zeichen: Ihre Garnison wurde um eine Brigade verstärkt. Zugleich besuchte Vizepräsident Lyndon B. Johnson West-Berlin. Außerdem entsandte Kennedy den ehemaligen Militärgouverneur Lucius D. Clay als Sonderbotschafter. Entlang der Mauer wurden bewaffnete Patrouillen eingerichtet.
Im Oktober 1961 spitzte sich die Lage in Berlin zu. Der höchste US-Diplomat in Berlin wollte den Checkpoint Charlie passieren, als Grenzpolizisten der DDR seinen Pass verlangten. Auf Befehl Clays bezogen US-Panzer Stellung: Das alliierte Recht auf Zufahrt nach Ost-Berlin ohne solche Kontrollen sollte nötigenfalls mit Gewalt durchgesetzt werden. Auf der anderen Seite fuhren daraufhin sowjetische Panzer auf.
Augenscheinlich hielt die UdSSR am Vier-Mächte-Status fest – ein Signal an den Westen, dass man den Konflikt nicht eskalieren lassen wollte. 16 Stunden lang standen sich die Panzer gegenüber. Über geheime Kanäle, die Washington und Moskau ein Jahr später auch während der Kuba-Krise nutzten, ließ sich die „Panzerkonfrontation“ schließlich entschärfen.
Das Risiko eines Atomkrieges und die Notfallplanung für West-Berlin
Über der zweiten Berlin-Krise schwebte das Risiko eines Atomkrieges. Die Sowjetunion war Ende der fünfziger Jahre zur Nuklearmacht aufgestiegen, was ihrem Berlin-Ultimatum besonderen Nachdruck verlieh. Ihr Nuklearwaffenarsenal war zwar erst bedingt einsatzbereit. Doch entscheidend war die starke Wirkung, die die Nachrichten und Bilder von sowjetischen Atomwaffenversuchen in Paris, London und Washington auslösten.
In West-Berlin hatte angesichts der Drohkulisse von Nationaler Volksarmee der DDR und Roter Armee die militärische Präsenz der Westmächte vor allem symbolische Bedeutung. Aus dem ungleichen Kräfteverhältnis ergab sich der militärische Auftrag der westalliierten Garnisonen: Im Straßen- und Häuserkampf sollte ein Angreifer so lange aufgehalten werden, bis man in den Regierungszentralen über militärisch angemessene Reaktionen entschieden hätte.
Um eine Eskalation beim Zugang nach Berlin zu vermeiden, war 1959 bei der Nato der militärische Planungsstab „Live Oak“ (Lebenseiche) eingerichtet worden. Hinsichtlich der Straßen- , Schienen- und Luftverbindungen zwischen West-Deutschland und West-Berlin waren die Westmächte besonders verwundbar. Genau daran hatte sich 1948 auch die erste Berlin-Krise entzündet. „Live Oak“ entwarf Konfliktszenarien und empfahl Gegenmaßnahmen, zu denen politische und wirtschaftliche Sanktionen sowie militärische Operationen bis hin zum Nuklearwaffeneinsatz zählten.
Angesichts des atomaren Kriegsrisikos formierte sich in der Bundesrepublik gesellschaftlicher Widerstand. Die „Kampf dem Atomtod“-Kampagne und die Ostermarschbewegung gehen auf diese zweite Berlin-Krise zurück.